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Gibt es ein Recht auf Sex?

Ich werde immer wieder auf das Thema ‚Prostitution‘ angesprochen. Für jemanden, der verständlicher Weise Angst vor dem ‚Ersten Mal‘ hat, kann es eine große Hilfe sein, auf diesem Weg erste Erfahrungen zu sammeln. Eine Prostitutierte erzähle mir, dass recht häufig junge Männer kommen, die sich bei ihrer ersten Partnerin nicht blamieren wollen und deshalb vorher eine Art Testdurchgang absolvieren.

Im Raum steht dabei natürlich immer die Frage, wie es der Frau geht, die diese Dienste anbietet. Die gesellschaftliche Diskussion geht immer mehr in die Richtung, dass es per se keine menschenwürdige Form von Prostitution geben könne und deshalb Freier bestraft werden müssten. Oft fällt dabei der Satz: ‚Es gibt kein Recht auf Sex!‘

Aber ist das so? Welche Bedeutung hat Sexualität?

Ich maße mir nicht an, eine objektive Aussage treffen zu können. Mich beschäftigt das Thema sehr, und hier folgen ein paar meiner persönlichen Gedanken.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO definiert ‚Sexuelle Gesundheit‘ wie folgt:

Sexuelle Gesundheit ist untrennbar mit Gesundheit insgesamt, mit Wohlbefinden und Lebensqualität verbunden. Sie ist ein Zustand des körperlichen, emotionalen, mentalen und sozialen Wohlbefindens in Bezug auf die Sexualität und nicht nur das Fehlen von Krankheit, Funktionsstörungen oder Gebrechen. Sexuelle Gesundheit setzt eine positive und respektvolle Haltung zu Sexualität und sexuellen Beziehungen voraus sowie die Möglichkeit, angenehme und sichere sexuelle Erfahrungen zu machen, und zwar frei von Zwang, Diskriminierung und Gewalt. Sexuelle Gesundheit lässt sich nur erlangen und erhalten, wenn die sexuellen Rechte aller Menschen geachtet, geschützt und erfüllt werden. Es bleibt noch viel zu tun um sicherzustellen, dass Gesundheitspolitik und -praxis dies anerkennen und widerspiegeln.

Darin sind beide Seiten enthalten.Kein Mensch darf zu etwas gezwungen oder genötigt werden, das er nicht will. Unter keinen Umständen.UND es gehört zur Gesundheit dazu, seine sexuellen Bedürfnisse leben zu dürfen. Vielleicht sollte man die oben erwähnte Aussage deshalb abändern:

‚Es gibt kein Recht auf Sex mit einer bestimmten Person. Es gibt aber ein Recht, Sexualität zu leben.‘

Wie ist das miteinander vereinbar, wenn jemand einfach keine Gelegenheit zu körperlicher Nähe bekommt? Für Menschen mit schweren Behinderungen und in Altersheimen gibt es bereits erotische Dienstleistungen, selbst bei Institutionen unter kirchlicher Trägerschaft. Das Pflegepersonal erlebt immer wieder, wie gut es den Menschen tut und wie viel ruhiger und ausgeglichener sie hinterher sind.
Die Gesellschaft nimmt sinnliche Nähe gegen Bezahlung also durchaus in Kauf, weil es das Pflegepersonal entlastet. Dass die Patienten dadurch ein lebenswerteres Leben haben, wird dabei oft eher in Kauf genommen als geschätzt. ‚Wenn es Spaß macht, ist es ja eigentlich Prostitution!‘

Ist das die Art, wie wir in unserer Gesellschaft mit Sexualität umgehen wollen? Es gibt Frauen und Männer, die einen therapeutischen Hintergund haben oder aus der Pflege kommen oder aus dem Tantra-Bereich, und die sehr viel Erfahrung mit Nähe und Sinnlichkeit und Sexualität haben. Die gelernt haben, entspannt mit dem Thema umzugehen und sich bewusst abgrenzen können. Und die aus dieser Erfahrung heraus anderen Menschen helfen können und wollen. Die selbst entscheiden, was im Kontakt geschieht und was nicht. Kann man da von einem Täter-Opfer-Verhältnis sprechen? Geht es da um Macht, Unterdrückung und Ausbeutung?

Sobald das Thema ‚Sex/Sinnlichkeit gegen Bezahlung‘ aufkommt, werden Gespräche oft schwierig. Ich würde mir zweierlei wünschen:

  1. Ehrlichkeit
    Jede Person, die sich an der Diskussion beteiligt, sollte zunächst mal mit sich selbst ehrlich klären: ‚Wie definiere ich eigentlich Sex / Lust / Macht? Wie im täglichen Leben, und wie im Flirt und im Liebesspiel? Gibt es da eventuell Unterschiede? Wie sehr schließe ich von mir auf andere? Könnte ich mir vorstellen, als Sexualassistent*in zu arbeiten? Falls nicht – warum eigentlich nicht? Und wie wird es mir wohl gehen, wenn ich selbst einmal in die Situation kommen sollte, keine sinnliche Nähe mehr zu bekommen?‘
    .
  2. Pragmatismus
    Die Prohibition in den USA hat damals nicht funktioniert, weil die Menschen trinken wollten. Der ‚War on Drugs‘ in den USA hat nicht funktioniert, weil Menschen die Drogen haben wollen. Und so würde ein Verbot der Prostitution wohl auch nicht funktionieren, weil die Menschen ein Bedürfnis nach Sex haben. Bei Alkohol und Drogen besteht unter Fachleuten inzwischen Konsens, dass Kriminalisierung und Ausgrenzung das organisierte Verbrechen stärken und dem Staat die Einflussnahme entziehen. Hilfreicher sind pragmatische, konstruktive Ansätze. Auch für Sex / Sinnlichkeit gegen Bezahlung gäbe es durchaus gute Konzepte. Man müsste sich nur trauen, offen darüber zu sprechen.

Ich komme zurück auf die WHO:

Sexuelle Gesundheit setzt eine positive und respektvolle Haltung zu Sexualität und sexuellen Beziehungen voraus sowie die Möglichkeit, angenehme und sichere sexuelle Erfahrungen zu machen, und zwar frei von Zwang, Diskriminierung und Gewalt.

Das wäre doch mal eine gute Haltung!